Adipöse Patienten* haben ein teilweise deutlich erhöhtes Risiko für Erkrankungen wie Diabetes mellitus, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und auch einige Krebsarten. Neben Lebensstiländerungen und − in schweren Fällen − chirurgischen Eingriffen werden zunehmend auch Medikamente eingesetzt, um die Adipositas zu behandeln. Hier haben die beiden GLP1-Rezeptoragonisten[1] Liraglutid und Semaglutid sowie der neue GIP/GLP-1-Rezeptoragonist[2] Tirzepatid in jüngster Zeit ihre guten gewichtsreduzierenden Eigenschaften unter Beweis gestellt.
Adipositas ist eine chronische Erkrankung, die definiert ist als eine Vermehrung des Körperfetts, die über das Normalmass hinausgeht.1 In Abgrenzung zum Übergewicht spricht man von Adipositas ab einem Body-Mass-Index (BMI) von 30 kg/m², wobei sich der BMI nach der Formel: Körpergewicht [kg]/(Körpergrösse [m])² berechnet.2 Übergewicht und Adipositas haben sich in vielen Ländern mittlerweile zu einer Volkskrankheit entwickelt.3 So sind in der Schweiz rund 42 % der erwachsenen Bevölkerung übergewichtig, davon sind 11 % adipös.3 Unter den Kindern und Jugendlichen leiden etwa 15 % an Übergewicht bzw. einer Adipositas.3
Risikofaktoren und Folgeerkrankungen der Adipositas
Das Auftreten einer Adipositas kann durch eine Reihe von Faktoren begünstigt werden. Hierzu gehören unter anderem4:
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ungesunder Lebensstil (Bewegungsmangel, kalorienreiche und ballaststoffarme Ernährung)
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genetische Prädisposition
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Stress, Depressionen und Schlafmangel
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Essstörungen
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Stoffwechselkrankheiten (z. B. Cushing-Syndrom, Hypothyreose)
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einige Medikamente (z. B. Kortison, bestimmte Antidepressiva, Antipsychotika, Antihypertensiva und Antidiabetika)
Eine Adipositas kann ihrerseits das Risiko für zahlreiche weitere Erkrankungen erhöhen, wobei nahezu alle Organe bzw. Organsysteme betroffen sein können (Abbildung 1).4–6
Das Zusammentreffen von Übergewicht, Insulinunempfindlichkeit bzw. -resistenz, Bluthochdruck und einer Fettstoffwechselstörung (Dyslipidämie), bei der die Triglyzeridwerte im Blut erhöht sind und/oder die HDL-Cholesterinkonzentration im Blut zu niedrig ist, wird auch als metabolisches Syndrom bezeichnet.7 Die betroffenen Patienten haben ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Arteriosklerose, Herzinfarkt, Herzinsuffizienz oder Schlaganfall sowie für einen manifesten Typ-2-Diabetes. Häufig sind auch die Harnsäurewerte erhöht, was zur Gicht führen kann.7 Da ein metabolisches Syndrom die Lebenserwartung der Betroffenen erheblich verkürzen kann, wird es auch als «tödliches Quartett» bezeichnet.
Diagnose
Eine Adipositas wird zunächst anhand des Körpergewichts, der Körpergrösse und des daraus ermittelten BMI diagnostiziert, der dann − wie in Tabelle 1 aufgeführt − klassifiziert werden kann (Tabelle 1).4
Darüber hinaus ist die Fettverteilung für die Beurteilung der Adipositas wichtig, da sie das Risiko für metabolische oder kardiologische Folgeerkrankungen mitbestimmt.5 Dabei unterscheidet man zwischen abdominaler bzw. viszeraler Adipositas («Apfeltyp») und peripherer Adipositas («Birnentyp»). Um das Verteilungsmuster zu bestimmen, wird die viszerale Fettmasse durch Messung des Taillenumfangs ermittelt.5 Bei einem Taillenumfang von mehr als 88 cm (Frauen) bzw. 102 cm (Männer) liegt eine abdominale Adipositas vor und es besteht ein deutlich erhöhtes Risiko für das Auftreten von Folgeerkrankungen.5 Alternativ erfolgt die Zuordnung zum einen oder anderen Typ durch die Bestimmung des Taille-Hüft-(oder auch Waist-Hip-) Quotienten (THQ). Laut WHO ist ein Quotient bei Frauen von > 0,85 und bei Männern von > 0,9 mit einem erhöhten Risiko verbunden.8
Basistherapie der Adipositas
Aus medizinischer Sicht wird eine Gewichtreduktion empfohlen, wenn eine der folgenden Voraussetzungen erfüllt ist9:
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BMI von ≥ 30 kg/m²
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Übergewicht mit einem BMI zwischen 25 und < 30 kg/m² und gleichzeitig:
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abdominale Fettverteilung und/oder
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hoher psychosozialer Leidensdruck und/oder
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Erkrankung, die durch Übergewicht verschlimmert wird, und/oder
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übergewichtsassoziierte Erkrankung wie Bluthochdruck oder Diabetes mellitus
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Kontraindiziert ist eine Therapie gegen Übergewicht bzw. Adipositas bei einer Schwangerschaft und einer konsumierenden Erkrankung, die in kurzer Zeit zu starkem Gewichtsverlust mit allgemeiner Schwäche und Kachexie führt.9 Vor Beginn der Behandlung ist es wichtig, realistische, individuell an den Patienten und sein Umfeld angepasste Therapieziele zu formulieren, um so eine dauerhafte Stabilisierung des reduzierten Gewichts zu erreichen.10
Änderung des Lebensstils
Eine Änderung der Ernährungsgewohnheiten, eine Steigerung der körperlichen Aktivität und gegebenenfalls eine Verhaltenstherapie bilden die Basis für die therapeutischen Interventionen bei Adipositas.10 Gerade zu Beginn der Behandlung empfiehlt es sich, an einer Ernährungsberatung teilzunehmen.4 Die Umstellung der Ernährung sollte individuell an die Therapieziele und das jeweilige Risikoprofil des einzelnen Patienten angepasst werden.10 Dabei ist eine gesunde, abwechslungsreiche Kost mit frischen, saisonalen und regionalen Produkten, die nur einen geringen Zucker- und Fettgehalt aufweisen, zu bevorzugen.10 Nahrungsmittel mit raffinierten Kohlenhydraten und stark verarbeitete Lebensmittel sollten hingegen vermieden werden.10 Was die körperliche Aktivität betrifft, sollte der Patient sich für eine effektive Gewichtsabnahme mindestens 150 Minuten pro Woche mit einem Energieverbrauch von 1200 bis 1800 kcal bewegen.9 Dabei ist darauf zu achten, dass insbesondere Patienten, die einen BMI > 35 kg/m² aufweisen, gelenkschonende Sportarten wie Fahrradfahren, Schwimmen oder Wassergymnastik ausüben. Um das Ernährungs- und Bewegungsverhalten dauerhaft zu verändern, kann eine Verhaltenstherapie hilfreich sein, in der mögliche Strategien sowie alternative Verhaltensweisen und Problemlösungsansätze besprochen werden.4
Zugelassene medikamentöse Therapien
Wird durch die Basismassnahmen keine oder keine ausreichende Gewichtsreduktion erreicht, kann bei adipösen Patienten und unter bestimmten Bedingungen auch bei Übergewichtigen eine medikamentöse Therapie durchgeführt werden.4 In der Schweiz sind derzeit (Stand September 2023) mit Liraglutid und Semaglutid sowie Orlistat drei Präparate für die Behandlung der Adipositas zugelassen.11–13
GLP1-Rezeptoragonisten
Die ursprünglich als Antidiabetika eingesetzten GLP-1-Rezeptoragonisten ahmen die Wirkung des Darmhormons «Glucagon-like Peptide-1», kurz GLP-1 nach, haben aber eine längere Halbwertszeit.14,15 Dadurch wird die Insulinausschüttung aus der Bauchspeicheldrüse gefördert und gleichzeitig das Hormon Glukagon, ein «Gegenspieler» des Insulins, gehemmt. Zudem verzögern GLP-1 Rezeptoragonisten die Magenentleerung und vermitteln über das zentrale Nervensystem ein früheres Sättigungsgefühl, was die Kalorienaufnahme reduziert und so die Gewichtsabnahme fördert.4
Liraglutid
Liraglutid war der erste GLP-1-Rezeptoragonist in der Schweiz, der im April 2017 als Ergänzung zu einer kalorienreduzierten Ernährung und verstärkten körperlichen Aktivität die Zulassung zur Gewichtsreduktion erhielt.12 Der Einsatz ist bei adipösen Patienten mit einem BMI von ≥ 30 kg/m² indiziert ebenso wie bei Übergewichtigen ab einem BMI ≥ 27 kg/m², wenn zusätzliche gewichtsbedingte Begleiterkrankungen wie Prädiabetes, Typ-2-Diabetes, Herz-Kreislauferkrankungen oder Dyslipidämie vorliegen.12 Falls die Patienten nach 12-wöchiger Behandlung mit einer Dosis von 3,0 mg/Tag nicht mindestens 5 % ihres Körpergewichts verloren haben, muss die Behandlung abgesetzt werden.12 Liraglutid wird mittels Fertigpen einmal täglich subkutan injiziert.12
Dass adipöse Menschen von einer Therapie mit Liraglutid profitieren können, belegen die Daten von SCALE Obesity and Prediabetes. In die doppelblinde Phase-III-Studie wurden 3731 Patienten eingeschlossen, die einen BMI von ≥ 30 kg/m² oder einen BMI von mindestens 27 kg/m² und eine Dyslipidämie oder Hypertonie aufwiesen, aber nicht an Diabetes erkrankt waren.16 Diese erhielten nach Randomisierung im Verhältnis 2:1 – neben einer Beratung zur Änderung ihres Lebensstils − Liraglutid (3,0 mg einmal täglich) oder stattdessen Placebo. Die Auswertung der Daten nach Woche 56 ergab, dass die Patienten in der Liraglutid-Gruppe im Durchschnitt 8,4 kg Körpergewicht verloren hatten, während die Studienteilnehmer in der Placebo-Gruppe 2,8 kg abgenommen hatten. Dies entsprach einer signifikanten Reduktion des placebokorrigierten Körpergewichts um 5,6 kg bzw. 5,4 % (p < 0,001).
Semaglutid
Seit 2022 ist auch Semaglutid in der Schweiz für die gleiche Indikation wie Liraglutid zugelassen. Die Molekularstruktur von Semaglutid unterscheidet sich von der des Liraglutids nur geringfügig. Allerdings wirken sich diese Unterschiede erheblich auf die Pharmakokinetik und -dynamik aus.6 So weist Semaglutid eine deutlich verlängerte Halbwertszeit von rund 160 Stunden auf im Vergleich zu 12 Stunden bei Liraglutid. Das Medikament muss daher nur einmal wöchentlich subkutan verabreicht werden, wobei die Dosis von 0,25 mg allmählich auf eine Erhaltungsdosis von 2,4 mg/Woche gesteigert wird.13 Zudem kann Semaglutid das Körpergewicht noch stärker reduzieren als Liraglutid.6
Dies zeigen auch die Daten von STEP 1.17 In die doppelblinde Phase-III-Studie wurden 1961 Patienten mit einem BMI von ≥ 30 kg/m² oder einem BMI von ≥ 27 kg/m² und mindestens einer gewichtsbezogenen Begleiterkrankung, aber ohne Diabetes eingeschlossen. Diese erhielten nach Randomisierung im Verhältnis 2:1 Semaglutid (2,4 mg, einmal wöchentlich) oder stattdessen Placebo. Die Auswertung der Daten nach 68 Wochen ergab, dass der durchschnittliche Gewichtverlust unter Semaglutid 15,3 kg betrug, während die Patienten unter Placebo 2,6 kg abgenommen hatten. Das entsprach einer signifikanten Verringerung des placebokorrigierten Körpergewichts um 12,7 kg bzw. 12,4 % (p < 0,001; Abbildung 2).
Die vor kurzem publizierte SELECT Studie zeigte, dass auch adipöse Patienten ohne Diabetes und mit kardiovaskulären Vorerkrankungen unter Semaglutid eine Abnahme von kardiovaskulären Ereignissen und Tod aufwiesen.18
Neben der injizierbaren Form wird Semaglutid in der Schweiz auch oral in Tablettenform zur Behandlung Erwachsener mit unzureichend kontrolliertem Diabetes mellitus vom Typ 2 ergänzend zu Diät und Bewegung angeboten.19 Die Nachfrage nach Lira- und Semaglutid ist gegenwärtig so hoch, dass Lieferengpässe bestehen und die Produkte zur Zeit nicht oder nur sehr beschränkt für die Adipositastherapie verfügbar sind. Der Hersteller ist gegenwärtig daran, die Produktionskapazitäten erheblich zu erhöhen.
Tirzepatid – eine weitere medikamentöse Therapieoption
Adipositas-Patienten könnten in Zukunft auch von einer Behandlung mit Tirzepatid profitieren. Bei dem bereits in der Diabetes-Therapie eingesetzten Wirkstoff handelt es sich um einen dualen Rezeptoragonisten der beiden Inkretine GLP-1 und GIP, der daher auch als Twinkretin bezeichnet wird.6 Die gewichtsreduzierende Wirksamkeit von Tirzepatid wurde in SURMOUNT-1 untersucht.20 In die Phase-III-Studie wurden insgesamt 2539 Patienten mit Adipositas bzw. Übergewicht und gewichtsbedingten Folgeerkrankungen, aber ohne Typ-2-Diabetes eingeschlossen. Diese erhielten nach Randomisierung im Verhältnis 1:1:1:1 Tirzepatid (5, 10 oder 15 mg, jeweils einmal wöchentlich, subkutan) oder stattdessen Placebo. Nach 72-wöchiger Therapie konnte das Gewicht in der Tirzepatid-Gruppe placebokorrigiert um durchschnittlich 11,9 % (Dosis: 5 mg), 16,4 % (Dosis: 10 mg) bzw. 17,8 % (Dosis: 15 mg) reduziert werden. Die Behandlung mit Tirzepatid führte bei den adipösen Patienten somit zu einer substantiellen, langanhaltenden Verringerung des Körpergewichts. Tirzepatid ist in der Schweiz bisher noch nicht zur Therapie der Adipositas zugelassen (Stand: September 2023).21
Orlistat
Orlistat war bis vor wenigen Jahren in der Schweiz das einzige zugelassene Medikament zur Therapie von Übergewicht und Adipositas.11 Der Wirkstoff bindet kovalent an die gastrischen und pankreatischen Lipasen und inaktiviert diese Enzyme, so dass die in Form von Triglyceriden vorliegenden Nahrungsfette nicht weiter hydrolysiert werden können. Dadurch wird die Resorption von Fetten aus dem Darm und damit auch die Kalorienaufnahme gehemmt.
Chirurgische Intervention
Bei erwachsenen Patienten mit einem BMI ≥ 35 kg/m² kann ein chirurgischer Eingriff in Betracht kommen.22 Voraussetzung dafür ist, dass eine zweijährige, adäquate Therapie zur Gewichtsreduktion erfolglos war.22 Erfolglos bedeutet, dass in diesem Zeitraum oder danach kein BMI unter 35 kg/m2 erreicht und gehalten werden konnte.22 Bei Personen mit Diabetes Typ 2 kann schon ein BMI > 30 kg/m2 als Indikationskriterium beigezogen werden. Weitere Voraussetzungen sind ein gutes Verständnis für die notwendigen postoperativen Veränderungen des Lebensstils und Essverhaltens sowie eine schriftliche Einwilligung in die lebenslange Nachsorgeverpflichtung im bariatrischen Netzwerk eines anerkannten Zentrums.22 In der bariatrischen Chirurgie gibt es verschiedene Operationsverfahren, wie z.B. der Magen-Bypass. Die Wahl des Verfahrens hängt von der individuellen Situation des Patienten und der Patientin ab. Die meisten Eingriffe können laparoskopisch vorgenommen werden.23
Die chirurgische Therapie hat gewisse Kurz- und Langzeitrisiken. Diese sind im Einzelfall sorgfältig mit dem potenziellen Nutzen abzuwägen.
Fazit
Nach jahrelanger Frustration bei der Behandlung der Adipositas wegen des Fehlens von wirksamen und verträglichen Medikamenten gibt es nun neue vielversprechende Perspektiven. Die genannten Inkretin-aktiven Medikamente sind wirksam und grundsätzlich gut verträglich. Die Adipositas-Chirurgie ist heute als effektivste, nachhaltigste und in der Regel sichere Therapie der schweren Adipositas allgemein anerkannt. Beide Therapien sind besonders effektiv bei gleichzeitigem Diabetes Typ 2.
Interessenskonflikt
Die Autoren erklären, dass das Manuskript ohne jegliche kommerziellen oder finanziellen Beziehungen verfasst wurde, die als potenzieller Interessenskonflikt ausgelegt werden könnten.
Finanzierung
Alle Autoren haben erklärt, dass für die eingereichte Arbeit keine finanzielle Unterstützung von einer Organisation erhalten wurde.
Autorenbeiträge
Alle Autoren haben zum endgültigen Manuskript beigetragen und es genehmigt.
GLP-1: Glucagon-like Peptide-1
GIP: Glucoseabhängiges Insulinotropes Peptid