Es ist ein Fakt, dass die Adipositas pandemischen Charakter angenommen hat, und zwar weltweit. Genetische und Lebensstilfaktoren, wie Verfügbarkeit von hochkalorischer Ernährung und sitzender Lebensstil wirken zusammen, um diesen Anstieg zu erklären.1 Adipositas führt zu erhöhter Morbidität und Mortalität an Herz-Kreislaufkrankheiten, zu gehäufter Nephropathie, zu arthrotischen Beschwerden, Häufung von bestimmten Krebsformen und anderen Erkrankungen. Diese bedeuten oft eine verminderte Lebensqualität.

Die sinnvollste Therapie der Adipositas wäre eine Änderung des Lebensstils mit veränderten Ernährungs- und Bewegungsgewohnheiten, doch zeigen die vorhandenen Daten zu solchen Programmen meist bescheidene (2–3 kg) und vorübergehende Wirkungen.2 Chirurgische Therapien sind am Wirksamsten, sie sind jedoch invasiv, nicht überall verfügbar und haben ein gewisses Potenzial an Komplikationen.3

Pharmakologische Therapien wären grundsätzlich breiter einsetzbar, doch ist die Geschichte der Pharmakotherapie geprägt von Rückschlägen. Das Amphetaminderivat Benfluorex führte zu pulmonaler Hypertonie und Herzklappenabnormitäten, die für mehrere Hundert Todesfälle verantwortlich gemacht wurden und die lange unerkannt blieben. Sie hatten entsprechende juristische und finanzielle Konsequenzen mit Bussen in Millionenhöhe und Kompensationszahlungen durch die Herstellerfirma.4

Aktuell sind von der «European Medicines Agency (EMA)» Orlistat, Bupropion/Naltrexon und Liraglutid/Semaglutid für die Behandlung der Adipositas zugelassen. Während Orlistat oft inakzeptable Nebenwirkungen hat (Steatorrhö), stehen bei Bupropion/Naltrexon Nebenwirkungen wie Übelkeit und Kopfweh im Vordergrund. Beide Präparate verfügen über keine überzeugenden Daten mit «harten» Endpunkten und sind relativ teuer. Sie werden vom britischen «National Institute for Health and Care Excellence (NICE)» nicht empfohlen.5

Anders sieht dies nun aus mit «Glucagon-like peptide-1 (GLP-1)» Rezeptoranaloga (GLP-1RAs), wie Liraglutid, das täglich subkutan injiziert werden muss, und insbesondere Semaglutid, das wöchentlich subkutan verabreicht werden muss.

Liraglutid führte im Vergleich zu Placebo in gross angelegten Studien zu durchschnittlich 16 % Gewichtsabnahme; diese hielt während der Studiendauer von 68 Wochen an.6 Vier von fünf Studienteilnehmer*innen hatten v. a. zu Beginn Nebenwirkungen wie Nausea. Seltenere Komplikationen betreffen die Gallenwege und die Leber.7 Das Besondere dieser GLP-1 Rezeptoranaloga ist nicht nur die Tatsache, dass eine signifikante Gewichtsreduktion resultierte, sondern, dass bei Diabetes Typ 2 eine Verminderung von kardiovaskulären und renalen Komplikationen nachgewiesen wurden.8 Eine Metaanalyse bei Adipösen ohne Diabetes wies ebenfalls auf eine Abnahme von kardiovaskulären Komplikationen mit Liraglutid und Semaglutid hin.9 Eine anfangs diesen Jahres publizierte Meta-Analyse ergab, dass Semaglutid das günstigste Wirkungs-/Nebenwirkungsprofil aufweist10; dieser Wirkstoff ist in der Schweiz nur bei Übergewicht mit Diabetes Typ 2 zugelassen.

Das relativ günstige Profil dieser Wirkstoffe befeuerte nun die Entwicklung und Propagation weiterer verwandter Präparate, wie z. B. Efpeglenatide11 bei Diabetes Typ 2, und neuerdings Tirzepatid12 bei Adipositas. Tirzepatid ist ein kombinierter Agonist für GLP-1 und für das «Glucose-Dependent Insulinotropic Polypeptide (GIP)». Es bewirkte nach 1 ½ Jahren eine recht eindrückliche 20%ige Gewichtsreduktion bei akzeptabler Toleranz.13 Ein weiteres Peptid-Analog, ein Derivat von Amylin mit Namen Cagrilintid, zeigte eine 11%ige Gewichtsabnahme im Vergleich zu 9 % bei Liraglutid in einer Phase-II-Studie.14 Diese drei Präparate sind in der Schweiz noch nicht auf dem Markt erhältlich.

Es wird nun insbesondere von Herstellerseite die pharmakologische Therapie der Adipositas propagiert. Eine breite Anwendung dieser Behandlung hätte eine enorme Zahl potenzieller Therapiekandidatinnen zur Folge. Es ginge um 650 Millionen Menschen mit Adipositas weltweit,15 wenn man das Indikationskriterium der EMA nimmt (BMI über 30 kg/m2).

Vor einer breiten Anwendung solcher medikamentöser Therapien der Adipoistasmüssten folgende Punkte geklärtwerden.

  1. Die aktuellen Studien waren zeitlich begrenzt, auf maximal 1 ½ Jahre. Es ist anzunehmen, dass nach Absetzen der Behandlung das Gewicht wieder ansteigt.16 Somit müsste die Behandlung über Jahre fortgesetzt werden, um einen gesundheitlichen Nutzen bezüglich Komplikationen zu erreichen. Wie lange, ist offen.

  2. Es müssten mehr Studien mit «harten» Endpunkten vorliegen, die zeigen, dass eine Reduktion z. B. der kardiovaskulären Morbidität stattfindet. Die vorliegende Datenlage hierzu ist rudimentär. Auch bezüglich Langzeit-Nebenwirkungen gibt es kaum Daten.

  3. Es müssten ökonomische Aspekte berücksichtigt werden. Folgende Überlegungen: Gemäss einer US-Analyse erhöht die Adipositas im Vergleich zu Nicht-Adipösen die Gesundheitskosten pro Person um USD 1801.17 Dies ergab bei Umrechnung auf die erwachsene Gesamtbevölkerung einen Betrag von 179 Milliarden USD (2019). Die Kosten für Saxenda® (das einzige GLP-1 Präparat, das in der Schweiz für Adipositas zugelassen ist) belaufen sich auf CHF 7,14 pro Tag. Bei Anwendung während 10 Jahren wären das etwa CHF 26 067 pro Person. Der Preis für Semaglutid ist in derselben Grössenordnung. Obwohl solche direkten Vergleiche nicht unproblematisch sind, stellt sich doch die Frage, ob ein Gesundheitssystem solche Mehrkosten tragen will und kann.

Fazit

Es bleibt die Konsequenz, dass nicht genug auf die Bedeutung der Prävention der Adipositas hingewiesen werden kann. Dazu gehören eine ausgewogene Ernährung und regelmässige Bewegung. Diese Massnahmen, theoretisch einfach und kostengünstig, ersparen uns die erheblichen Kosten und potenziellen Langzeitnebenwirkungen, die mit einer medikamentösen Therapie verbunden sind.