Wie in anderen westlichen Industrienationen nimmt die Zahl der älteren Menschen auch in der Schweiz zu. So lag der Anteil der Personen ab 65 Jahren an der Gesamtbevölkerung im Jahr 2020 bei 18,8%, im Jahr 2021 bei 19,0% und im Jahr 2022 bereits bei 19,2%.1 Prognosen gehen davon aus, dass sich die Altersstruktur in der Schweiz weiter in Richtung der 65-Jährigen und Älteren verschieben wird, so dass deren Anteil an der Bevölkerung voraussichtlich Mitte der 40er Jahre die 25-Prozent-Marke überschreiten wird.1 Die häufigste psychische Störung im Alter ist die Depression.2 So schwankt die Punktprävalenz depressiver Episoden bei den über 65-Jährigen in der Schweiz zwischen 5 und 10%.2 Wenn auch leichte Formen der Erkrankung eingeschlossen werden, liegt die Häufigkeit sogar bei bis zu 25%.2 Insbesondere bei hochbetagten Menschen ab einem Alter von 85 Jahren ist eine deutliche Zunahme schwerer Depressionen zu beobachten.3 Die Krankheitslast ist für viele der Betroffenen hoch. Die Symptome beeinträchtigen die Lebensqualität sowie die sozialen und familiären Lebensbereiche.4 Darüber hinaus sind Depressionen beim älteren Menschen mit erhöhter Morbidität und Mortalität der Patienten assoziiert.4 So gilt die Depression als Risikofaktor und Prädiktor für eine schlechte Prognose bei vielen Erkrankungen wie Diabetes, Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Demenz.4 Auch das Suizidrisiko ist bei einer Depression im Alter deutlich erhöht, wobei sozial isolierte Männer mit chronischen somatischen Komorbiditäten besonders betroffen sind.5 In diesem Zusammenhang ist auch das Thema «assistierter Suizid» zu erwähnen, indem Depressionen, zumindest bei einem Teil der älteren Menschen, bei der Entscheidungsfindung dazu eine Rolle spielen können.6,7 Daher ist es dringend notwendig, Depressionen bei älteren Menschen frühzeitig zu diagnostizieren und dann umgehend adäquat zu behandeln.

Depression im Alter frühzeitig erkennen

Eine Depression kann bei älteren ‒ ebenso wie bei jüngeren Menschen ‒ anhand der ICD-10 und neu der ICD-11-Kriterien diagnostiziert werden. Demnach sind depressive Störungen durch eine depressive Stimmung wie Traurigkeit, Reizbarkeit und innere Leere oder durch Freudlosigkeit gekennzeichnet. Diese werden von anderen verhaltensbezogenen, kognitiven oder neurovegetativen Symptomen begleitet, welche die Funktionsfähigkeit der Person erheblich beeinträchtigen.8 Allerdings sind bei älteren Menschen emotionale Symptome wie Traurigkeit hinter anderen unspezifischen Störungen (wie Schlafstörungen oder Schmerzen) verborgen, so dass Depressionen im Alter leicht übersehen werden.9 Zudem unterscheidet sich die Symptomatik älterer Patienten häufig von der jüngerer. So können sozialer Rückzug, reduzierte Nahrungsaufnahme und Körperpflege sowie eine allgemeine Interessenlosigkeit auf eine Depression im Alter hinweisen.3,4 Oftmals treten bei älteren depressiven Menschen auch eher unspezifische physische Beschwerden auf, wie z. B. körperliche Erschöpfung und mangelnde Energie, gastrointestinale Störungen, Schwindelgefühle sowie Druckgefühle im Kopf, psychomotorische Retardierung, Schlaflosigkeit und/oder kognitive Defizite (Tabelle 1).3,4

Tabelle 1.Häufigere Symptome einer Depression im Vergleich zwischen älteren und jüngeren Patienten (modifiziert nach4).
Symptome und klinische Manifestation ältere Menschen jüngere Menschen
depressive Stimmung
Freudlosigkeit (Anhedonie)


somatische Symptome
  • Appetitlosigkeit
  • Schlaflosigkeit
  • körperliche Ermüdung
  • kognitive Defizite
  • gastrointestinale Störungen
  • psychomotorische Retardierung
  • Schmerzen
  • Hyperphagie
  • Schlafsucht (Hypersomnie)
  • Fatigue
  • Konzentrationsmangel
  • Agitiertheit

Der Schweregrad einer Depression beim älteren Menschen zu Beginn der Erkrankung und der Therapieerfolg im weiteren Krankheitsverlauf können anhand von Selbstbeurteilungsbögen (z. B. GDS[1], DIA-S[2]) oder mittels Fremdbeurteilung (z. B. HAMD[3], MADRS[4]) eingeschätzt werden.2 Die Skalen und Selbstbeurteilungsbögen können auch zum Screening eingesetzt werden. Um hirnorganische oder andere somatische Ursachen differentialdiagnostisch abzuklären, werden beim erstmaligen Auftreten einer Depression Untersuchungen von Blutparametern und -bei weiterführender Diagnostik- auch Liquor durchgeführt.2 Zudem kommen bildgebende Verfahren wie MRT[5], CT[6], SPECT[7], PET[8] oder auch ein EEG[9] zum Einsatz, um die Differenzialdiagnose einer beginnenden Demenz wie auch weiterer zentraler neuropathologischer Ursachen (z.B. Tumor) abzuklären.2 Eine beginnende Demenz ist die wichtigste Differentialdiagnose der Depression im Alter. Andere neurodegenerative Erkrankungen wie Morbus Parkinson, Chorea Huntington, multiple Sklerose oder amyotrophe Lateralsklerose wie auch viele weitere körperliche Erkrankungen (v.a. Herz-Kreislauf-Erkrankungen, pulmonale Erkrankungen), insbesondere wenn sie nicht ausreichend behandelt sind, können ebenfalls mit depressiven Symptomen einhergehen.2,4,10

Therapie der Depression beim älteren Menschen

Die Behandlung der Depression im Alter basiert auf individuellen psychosozialen Interventionen, Psychotherapie und Psychopharmakotherapie.2 Dabei müssen auch die oftmals bei älteren Menschen bestehenden somatischen Begleiterkrankungen berücksichtigt und gegebenenfalls mitbehandelt werden.2

Individuelle psychosoziale Interventionen

Hierzu gehören Massnahmen wie angeleitete Selbsthilfe, Psychoedukation, Problemlösungstraining, physische Aktivierung, Rekreationstherapie (befriedigende Freizeitgestaltung), Entspannungsverfahren und Verbesserung der sozialen Kompetenz.2 Auch spezielle Therapien wie Ergotherapie, künstlerische Therapien und Physiotherapien kommen zum Einsatz.2 Ziel der individuellen psychosozialen Interventionen ist es, die depressiven Symptome zu mildern, das Suizidrisiko zu vermindern, soziale Kontakte zu stützen und die Selbstwirksamkeit zu verbessern.2 Dabei können auch Hilfsangebote von unterstützenden Organisationen, z. B. das Netzwerk Angehörigenarbeit Psychiatrie (NAP)11 oder Pro Senectute,12 sowie die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden (KESB) der jeweiligen Kantone genutzt werden.

Psychotherapie

Bei einer Depression im Alter können verschiedene psychotherapeutische Verfahren angewendet werden. So wurde bei älteren depressiven Patienten eine evidenzbasierte Wirkung von kognitiven Verhaltenstherapien (KVT) belegt.2 Auch für die interpersonelle Psychotherapie (IPT) konnte eine gute Wirksamkeit bei der Depression im Alter gezeigt werden.2 Unter den psychodynamischen Verfahren gibt es vor allem für die Fokaltherapie Wirksamkeitsnachweise bei älteren depressiven Patienten.2 Erinnerungsorientierte psychotherapeutische Verfahren werden oft angewendet, wurden aber meist nur bei subsyndromaler Depression untersucht, so dass die Evidenz im Vergleich zu anderen Verfahren weniger gut belegt ist.2

Eine besondere Herausforderung an die Psychotherapie bei Depressionen im Alter ist, dass auch für ältere, z.T. für hochbetagte Patienten eine gewisse Zukunftsperspektive (die sie Depressionsbedingt nicht mehr sehen) entwickelt werden kann, auch wenn die Zeit für diese Zukunft bei älteren Menschen wesentlich kürzer ist als im jüngeren Alter. Ein anderer wichtiger Aspekt, der in der Psychotherapie aufgegriffen werden sollte, bezieht sich auf das Thema «Akzeptanz». Hier geht es darum, die aktuelle Situation, z.B. das Vorliegen einer (meist chronischen) körperlichen Erkrankung mit eingeschränkter Mobilität und Autonomie oder auch beklagte Fehler aus früheren Lebensphasen, die nicht mehr zu korrigieren sind, zu akzeptieren. Erst dann kann an Möglichkeiten zur weiteren Gestaltung der Zukunft und der Verbesserung der Lebensqualität -unabhängig von der psychotherapeutischen Methode- gearbeitet werden.13

Pharmakotherapie

Die Therapie der Wahl bei einer mittelschweren bis schweren Depression im Alter ist ‒ ebenso wie bei jüngeren Patienten ‒ der Einsatz von Antidepressiva.2,10 Bei der Auswahl des Medikaments sollte neben der Wirksamkeit mit zunehmendem Alter v.a. das Nebenwirkungs- bzw. Interaktionswirkungsprofil der Substanz berücksichtigt werden, um das Risiko von Unverträglichkeiten und Wechselwirkungen zu minimieren. Mögliche Begleiterkrankungen des älteren Patienten und die deswegen verordneten Therapien müssen ebenfalls beachtet werden, um das Risiko einer Polypharmazie zu reduzieren. Auch die exakte Diagnose der Depressionsform (z. B. unipolar vs. bipolar) und die mit der Erkrankung einhergehende Symptomatik (z. B. kognitive Störungen, Schmerzen, Angstzustände, Schlaflosigkeit, Suizidalität) spielen eine wichtige Rolle bei der Auswahl des Antidepressivums.2,4,10 Da sich der Metabolismus und damit auch die Pharmakokinetik und Pharmakodynamik im Alter verändern, ist es wichtig, mit einer möglichst niedrigen Dosierung zu beginnen, die dann vorsichtig erhöht werden kann, wenn die Behandlung gut vertragen wird («start low, go slow»).2,10

Bei der Entwicklung von Antidepressiva konnten in den letzten Jahrzehnten deutliche Fortschritte erzielt werden, so dass heute eine Vielzahl von Medikamenten mit unterschiedlichem Wirk- und Nebenwirkungsprofil zur Verfügung stehen. In Tabelle 1 sind Substanzen bzw. Substanzklassen der Antidepressiva dargestellt, die sich als wirksam erwiesen haben und von psychiatrischen und pflegerischen Fach- und Berufsverbänden in der Schweiz für die Behandlung von Depression bei älteren Patienten empfohlen werden.2,10 Zudem sind die jeweiligen Zielsymptome (neben der Wirkung auf die Depression), gegen die die einzelnen Medikamente spezifisch wirken, die relevanten Nebenwirkungen bzw. Arzneimittelinteraktionen und die Evidenz bzw. der Empfehlungsgrad aufgeführt. Es ist darauf hinzuweisen, dass die -in der Tabelle 2 auch genannten- älteren trizyklischen Antidepressiva zwar eine gute Wirksamkeit aufweisen, aufgrund der anticholinergen Nebenwirkungen (kardiovaskuläre NW, Harnverhalt, Obstipation, Akkomodationsstörungen, kognitive Störungen) im Alter sehr zurückhaltend bzw. nur in Ausnahmefällen (Therapieresistenz) eingesetzt werden sollen.2

Tabelle 2.Antidepressiva, die zur Behandlung von Depression bei älteren Patienten empfohlen werden.
Wirkstoff Zielsymptome Nebenwirkungen/Interaktionen Evidenzkategorie Empfehlungsgrad
Tri-/tetrazyklische Antidepressiva Anticholinerg, Orthostase, kardiovaskuläre NW (im Alter nicht als First-Line-Medikation) A 2
Imipramin
Trimipramin Insomnie
Doxepin Insomnie
Amitriptylin Insomnie, Schmerzen
Mianserin Insomnie, Kognition Agranulozytoserisiko (nur Mittel der 3. Wahl)
Nortriptylin Kognition Günstigstes NW-Profil im Vergleich
mit anderen trizyklischen Antidepressiva
Clomipramin Schmerzen
SSRI Spezifische Wirksamkeit bei komorbider Angsterkrankung SIADH als Klasseneffekt (Überwachung des Natriums)
Assoziation (gering) mit
hämorrhagischem Stroke
A 1
Paroxetin Leicht anticholinerger Effekt (negative Auswirkungen auf Kognition möglich) Medikamenteninteraktionen
Citalopram Verlängerung der QTc-Zeit (Dosisbegrenzung)
Escitalopram Verlängerung der QTc-Zeit (Dosisbegrenzung)
Fluoxetin Medikamenteninteraktionen
Fluvoxamin Medikamenteninteraktionen
Sertralin Günstigstes Nutzen-Risiko-Profil innerhalb der Klasse
SNRI A
Venlafaxin Kognition, Schmerz Potenziell beeinträchtigte Miktion, potenziell blutdrucksteigernder Effekt 2
Duloxetin Kognition, Schmerz Potenziell beeinträchtigte Miktion 1
NaSSA
Mirtazapin Schlaf, Schmerz RLS-Induktion, Gewichtszunahme und Agranulozytose (selten) möglich B 3
SNDRI
Bupropion Kognition Krampfschwellensenkende Wirkung (bei Epilepsie kontraindiziert) B 3
SARI
Trazodon Schlaf, Kognition Insgesamt gute Verträglichkeit, geringe anticholinerge NW, keine RLS-Induktion Leicht erhöhtes Risiko für kardiale Reizleitungsstörungen A 1
multimodal wirksames Antidepressivum
Vortioxetin Kognition Nausea, im Übrigen sehr wenige NW B 3
Melatoninrezeptoragonisten
Agomelatin Schlaf (melatonerge Wirkung), Kognition Insgesamt günstiges NW-Profil (Leberwerte kontrollieren!) B 3
MAO-Hemmer Generell gute Verträglichkeit Pharmakodynamische Medikamenten interaktion (Kombination mit serotonergen
Antidepressiva kontraindiziert)
Moclobemid Kognition A 1
Phytopharmaka F
Johanniskraut Gute Verträglichkeit (cave: Fotosensibilität) Interaktionspotenzial insbesondere bei älteren,
polypharmazierten Patienten beachten

Evidenzkategorie A: vollständige Evidenz anhand von kontrollierten Studien; Evidenzkategorie B: begrenzte Evidenz anhand von kontrollierten Studien; Evidenzkategorie F: Aussagen zur Evidenz nicht möglich, da keine adäquaten Studien vorliegen, welche die Wirksamkeit oder Unwirksamkeit belegen. Empfehlungsgrad 1: Evidenz der Kategorie A und ein gutes Risiko-Nutzen-Verhältnis; Empfehlungsgrad 2: Evidenz der Kategorie A und ein moderates Risiko-Nutzen-Verhältnis; Empfehlungsgrad 3: Evidenz der Kategorie B. MAO, Monoaminooxidase; NaSSA, noradrenerge und spezifisch serotonerge Antidepressiva; NW, Nebenwirkungen; RLS, Restless-Legs-Syndrom; SARI, Serotonin-Antagonist- und -Wiederaufnahme-Hemmer; SIADH, Syndrom der inadäquaten Sekretion vom ADH (antidiureti sches Hormon); SNDRI, selektive No radrenalin-Dopamin-Wiederaufnahme-Hemmer; SNRI, Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmer; SSRI, selektive Serotoninwiederaufnahmehemmer (nach2,10,14).

Teil bzw. Nonresponse

Bei Nicht- oder nur teilweisem Ansprechen gegenüber dem zunächst gewählten Antidepressivum sollte zunächst eine behutsame Dosissteigerung mit Bestimmung des Plasmaspiegels erfolgen.2 Führt dies nicht zum Erfolg, kommen ein Wechsel des Antidepressivums, die Kombination zweier Antidepressiva oder eine Augmentationsbehandlung, d. h. die Zugabe einer Substanz, welche die Wirkung des Antidepressivums verstärkt, in Betracht (z.B. niedrig dosierte Antipsychotika, Lithium).2 Beim Einsatz von Lithium bzw. bei der Wahl des Antipsychotikums bzw. sind jedoch einige Punkte zu beachten.2 So kann sich durch die Abnahme der Nierenfunktion im Alter die Halbwertszeit des Lithiums im Körper deutlich erhöhen.2 Daher sollte die Dosis am Anfang halbiert und nur unter engmaschiger Kontrolle des Plasmaspiegels in den therapeutischen Bereich gesteigert werden.2 Schwere Nierenfunktionsstörungen, schwere Herz- und Kreislaufkrankheiten und Störungen des Natriumhaushalts gelten als Kontraindikationen für den Einsatz von Lithium.2 Das Risiko für Intoxikationen ist insbesondere bei Exsikkation erhöht, aber auch bei gleichzeitiger Behandlung mit Medikamenten, die den Elektrolythaushalt beeinflussen, wie z. B. Diuretika, ACE-Hemmer oder Prostaglandinsynthese-Hemmer.2 Zur Augmentation mit Antipsychotika werden atypische Substanzen, insbesondere Aripiprazol und Quetiapin, eingesetzt.2 Allerdings ist dann bei gleichzeitiger Demenz das Risiko für zerebrovaskuläre Ereignisse erhöht.2 Auch die anticholinerge Wirkung der Substanzen, die eine Verschlechterung der kognitiven Leistung und die Ausbildung von Delirien, vor allem bei komorbider Demenz, begünstigen kann, ist zu beachten.2

Therapieresistenz

Liegt eine Therapieresistenz vor (zwei medikamentöse Behandlungsansätze in ausreichender Dosierung über einen ausreichend langen Zeitraum) können die bei Teil- und Nonresponse genannten Massnahmen (v.a. Kombination und Augmentation) vorgenommen werden.

Darüber hinaus steht mit Esketamin seit Februar 2020 in Kombination mit einem oralen Antidepressivum eine weitere medikamentöse Option zur Behandlung von Erwachsenen mit therapieresistenten Episoden einer Major Depression zur Verfügung und kann seit August 2021 auch zur raschen Reduktion depressiver Symptome bei schweren Episoden einer Major Depression eingesetzt werden.15,16 Die isomere Form des Ketamins wird als Nasenspray angeboten.15 Die Wirkungsweise von Esketamin stellt einen neuen Ansatz in der pharmakologischen Behandlung der Depression dar. Der antidepressive Effekt von Esketamin wird durch seine antagonistische Wirkung auf den NMDA-Rezeptor[10] bei glutamatergen Neuronen vermittelt.15,17 Dadurch wird vorübergehend Glutamat vermehrt freigesetzt, was wiederum zur Stimulation des AMPA-Rezeptors[11] führt.15,17 In der Folge werden neurotrophe Signalstoffe freigesetzt. Diese stellen die durch die Depression beeinträchtigte synaptische Funktion in den betroffenen Hirnarealen, die an der Regulierung von Stimmung und emotionalem Verhalten beteiligt sind, wieder her.15,17In einer Post-hoc-Analyse der Beobachtungsstudie REAL-ESK konnte gezeigt werden, dass auch ältere Patienten mit einer schweren, therapieresistenten Depression von der Behandlung mit Esketamin profitieren können.18 Allerdings wurde eine hohe Zahl von therapiebedingten Nebenwirkungen wie Schwindel (50%), Dissoziation (33,3%), Sedierung (30%) und Bluthochdruck (13,3%) beobachtet, die jedoch in den meisten Fällen keine Therapieunterbrechung erforderlich machten.18

Der Einsatz von Esketamin, insbesondere bei älteren Patienten sollte daher fachärztlich und engmaschig überwacht und die Patienten eng begleitet werden.

Als nicht-medikamentöse Behandlungsoption steht bei Therapieresistenz auch die Elektrokrampftherapie (EKT) zur Verfügung, die auch bei älteren Patienten gut angewendet werden kann und eine gute Wirksamkeit zeigt.19

Sonstige Therapien

Neben psychosozialen Interventionen, Psychotherapie und Pharmakotherapie kommen weitere Formen der Behandlung bei einer Depression im Alter in Betracht. So können chronobiologische Verfahren wie Schlafentzugstherapie oder Lichttherapie erfolgreich eingesetzt werden.2 Auch körperliche Aktivität und sportliches Training haben sich als Zusatztherapie bei Depression als wirksam erwiesen.20 Neurostimulationsverfahren wie die oben bereits erwähnte Elektrokonvulsionstherapie und die weniger invasive repetitive transkranielle Magnetstimulation werden auch bei älteren depressiven Patienten eigesetzt.2 Für andere Verfahren wie die transkranielle direkte Gleichstrom-Stimulation, die Vagusnervenstimulation und die tiefe Hirnstimulation fehlen bislang Studien zur Wirksamkeit bei älteren depressiven Patienten.2

Massnahmen zur Prophylaxe

Zu den wichtigsten Präventionsmassnahmen gegen eine Depression beim älteren Menschen gehören die Vermeidung von Übergewicht, Inaktivität, übermässigem Alkoholgenuss und Rauchen.21 Zudem sollte die soziale Isolation der älteren Menschen vermieden werden. Eine Möglichkeit hierzu bieten z. B. Besuchsdienste oder gesellige Wohnformen.3 Wichtig ist auch, dass gegebenenfalls Seh- und Hörstörungen korrigiert werden, weil sie die soziale Interaktion einschränken.3 Darüber hinaus ist in manchen Fällen (frühere depressive Phasen, schwer behandelbare Depression in der Akutphase) eine Fortführung der Medikation mit Antidepressiva über mehrere (meist zwei bis drei Jahre) von prophylaktischem Nutzen.3

Auf den Punkt gebracht
  • Die häufigste psychische Störung im Alter ist die Depression. Vor allem Hochbetagte leiden oft unter schweren Formen dieser Erkrankung.
  • Depressionen im Alter sind für viele Betroffene und deren Umfeld mit gravierenden Belastungen wie Einschränkung der Lebensqualität und Beeinträchtigung der Alltagsfähigkeiten sowie einem erhöhten Suizidrisiko verbunden. Daher sind eine frühe Diagnose und adäquate Therapie wichtig.
  • Die Symptome älterer depressiver Menschen unterscheiden sich oft von denen jüngerer Patienten. So treten unspezifische körperliche Beschwerden häufig in den Vordergrund. Daher werden Depressionen im Alter oftmals übersehen.
  • Die Diagnosestellung erfolgt anhand der ICD-10 oder später der ICD-11. Mit Hilfe von Selbst- oder Fremdbeurteilungsbögen können der Schweregrad einer Depression beim älteren Menschen zu Beginn der Erkrankung und der Therapieerfolg im weiteren Krankheitsverlauf eingeschätzt werden. Die Bögen können auch zum Screening genutzt werden. Blut- und Liquoruntersuchungen sowie bildgebende Verfahren können zur Differentialdiagnose z. B. bei beginnender Demenz eingesetzt werden.
  • Die Therapie der Depressionen bei älteren Menschen basiert auf psychosozialen Interventionen, Psychotherapie und Pharmakotherapie insbesondere mit Antidepressiva. Die Auswahl der Substanzen sollte unter Berücksichtigung des jeweiligen Nebenwirkungs- und Interaktionsprofils erfolgen, wobei Polypharmazie zu vermeiden ist. Auch die genaue Diagnose und das klinische Bild spielen bei der Therapiewahl eine wichtige Rolle. Die Dosierung des gewählten Antidepressivums sollte anfangs möglichst niedrig sein und dann bei Bedarf langsam gesteigert werden.
  • Ein gesunder aktiver Lebensstil und ausreichend soziale Kontakte wirken präventiv gegen Depressionen im Alter.

Disclaimer

Die Autoren erklären, dass die Studie in Abwesenheit jeglicher kommerziellen oder finanziellen Beziehungen durchgeführt wurde, die als potenzieller Interessenkonflikt interpretiert, werden könnten.

Interessenskonflikt

Die Autoren erklären, dass keine finanzielle Unterstützung von einer Organisation für die eingereichte Arbeit erhalten wurde.

Finanzierung

Alle Autoren haben erklärt, dass sie für die eingereichte Arbeit keine finanzielle Unterstützung von einer Organisation erhalten haben.

Autorenbeiträge

Alle Autoren haben zum endgültigen Manuskript beigetragen und es genehmigt.


  1. GDS: geriatrische Depressionsskala

  2. DIA-S: Depression-im-Alter-Skala

  3. HAMD: Hamilton-Depressionsskala

  4. MADRS: Montgomery-Åsberg-Depressions-Rating-Skala

  5. MRT: Magnetresonanztomographie

  6. CT: Computertomographie

  7. SPECT: Einzelphotonen-Emissionscomputertomographie

  8. PET: Positronen-Emissions-Tomografie

  9. EEG: Elektroenzephalogramm

  10. NMDA: N-Methyl-D-Aspartat

  11. AMPA: α-Amino-3-Hydroxy-5-Methyl-4-Isoxazolpropionsäure